Ich möchte Euch dieses Buch ans Herz legen, weil es irgendwie gut tut.
– Der Autor Ralf Buchterkirchen (den aufmerksamen ROZ-LeserInnen von den Polit-Artikeln wie „Parlamentsnotizen“ kennen) erklärt mit ruhiger Stimme in gutverständlicher Sprache, ohne eine Ideologie verkaufen zu wollen oder einen Beweis erbringen zu wollen, eines nach dem anderen. Er stellt die Rolle der Justiz, wie die Militärjustiz funktionierte, welchen Einfluss dies auf die Zivilbevölkerung hatte und mehr in einen größeren Zusammenhang. Für mich erscheint das Buch mehrdimensional, denn er fragt sich auch, worin die Unterschiede zwischen BRD und in der DDR in der Unbeholfenheit der Rehabilitation von Deserteuren in liegt, wie die heutigen Anwerbe-Maßnahmen der Bundeswehr in Schulen oder bei „Hartz-IV-Verlierern“ zu werten sei. Im zweiten Teil des Buches zeichnet er Lebenslinien von Hannoveraner Opfern nach und portraitiert dreizehn Einzelschicksale und im Nachwort verweist er auf aktuelle Deserteure wie Andrew Shepherd, der als Amerikaner nicht mehr im Irak töten, foltern, entführen, lügen und Politiker, Bürger und die Verbündeten nicht mehr manipulieren will und dass sein Asyl in der BRD abgelehnt wurde.
Bei mir hat das Buch dafür gesorgt, dass sich mein bisheriges Faktenwissen zur Nazi-Zeit zu einem größeren Gesamtbild erschlossen hat und ich gehe davon aus, dass ich das meiste, was ich in Zukunft über diese grauenhafte Zeit erfahren werde, wahrscheinlich einsortieren können werde. Für mich ist das Buch tröstlich, denn es ist ein liebevoll erarbeitetes Puzzle, es ist wie ein behutsames Zur-Ruhe-Betten der Opfer. Es hat eine Unmenge an Details, viele Bilder und Ralf hat für jedes Fakt ein Beispiel, ein Zitat von einem Hannoveraner Fall. Er hat Friedhöfe und Gräber nach Hinweisen abgesucht, zahlreiche Fotos gemacht und Interviews mit Zeitzeugen und Familienangehörigen geführt und die Recherche-Vorarbeit von Klaus Falk in Militär- und lokalen Archiven ausgewertet. Das Buch erfüllt mit seiner sorgfältigen Gliederung und einer Literaturliste von rund hundert Büchern wissenschaftlichen Ansprüchen, obwohl Ralf kein Geisteswissenschaftler, sondern Wirtschaftsinformatiker_in ist. Er gehört zu www.deserteure-hannover.de und ist in mehreren queerpolitischen und friedenspolitischen Projekten und Initiativen aktiv.
Das Besondere des Buches ist sein theoretischer Ansatz. Dieser besteht in der Geschlechter- und Männlichkeitsforschung, der sich durch das ganze Werk zieht. Mit ihm kann Ralf nicht nur erklären, wie die damalige Demagogie funktionieren konnte, sondern wie dies unbewusst bis heute hinein wirkt. So sind erst seit zwei Jahren Deserteure umfassend durch den Bundestag rehabilitiert worden und mit angemessenen Mahnmalen tut man sich noch immer sehr schwer. – Geschlechterforschung erweist sich hier nicht als „Orchideenwissenschaft“, sondern als etwas Praktisches, mit der wir unsere heutige Welt erklären können.
Ulrike Kümel, Rosige Zeiten 141 (www.rosige-zeiten.net)