Rezension Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover e.V

Ungehorsame Soldaten von Peter Schyga
erschienen im Newsletter März 2020 des Netzwerks Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover e.V

Ralf Buchterkirchen hat den neusten Stand seiner und anderer Forschung zur Verfolgung von „ungehorsamen Soldaten“, von „Wehrkraftzersetzern“ und „Deserteuren“ in einer lehrreichen und lesenswerten neuen Form herausgebracht. Sein vor kurzen im Verlag des Arbeitskreises Regionalgeschichte e.V. erschienenes Buch beschäftigt sich intensiv mit von der Wehrmachtsjustiz verurteilten und getöteten Soldaten des Zweiten Weltkriegs, die in Hannover auf dem Friedhof Fössefeld begraben sind. Buchterkrichen führt ein in die ideologisch aufgeladene Tradition von Soldatentum und Manneszucht, erläutert Struktur des Militärstrafrechts und Handeln seiner ausführenden Organe. Zur Wehrpflichtarmee der NS-Diktatur betont er, dass mit dem Eid auf den Führer Adolf Hitler persönlich „ein Soldat explizit ein Vertreter der NS-Ideologie“ wurde und entsprechend zu handeln gehabt habe. Dass dies auch geschah, dafür waren Disziplinierungen, Befehl und Gehorsam in der Truppe zuständig. Wenn dieser Militäralltag zur Ahndung von Ungehorsam oder Widerspenstigkeit nicht ausreichte, wurde die Wehrmachtsjustiz mit ihren scharfen Repressionsinstrumenten tätig. Etwa2,4 Millionen Verfahren mit vier bis fünf Millionen Beschuldigten seien von ihr durchgeführt worden. Den Hauptteil in Buchterkirchens Studie nehmen seine auf umfangreicher Recherche beruhenden Biografien von Opfern der Wehrmachtsjustiz ein. Ausführlich schildert er die Schicksale von fünf Ermordeten, gibt zentrale Lebensdaten der in Hannover erschossenen Wehrmachtssoldaten wieder und berichtet von den aus Hannover stammenden Soldaten, gegen die Todesurteile verhängt wurden.

Der Umgang mit den Opfern nach dem Zweiten Weltkrieg war schändlich, „Nichtbearbeitung“ nennt er dies jahrzehntelang verschwiegene Kapitel deutscher Militärgeschichte, dem viel zu spät und zögerlich Entschädigung und juristische sowie politische Rehabilitation folgten. Die Mitglieder der Verfolgungsbehörden in der Armee, die Wehrmachtsrichter und Staatsanwälte, blieben nach dem Krieg –manchmal mit einer kurzen Karenzzeit –dem bundesdeutschen Staatsapparat erhalten. Der Autor wirft einen kritischen Blick zurück auf den Umgang mit dem Gedenken an die hingerichteten Soldaten in Hannover, an die auf dem Fössefeldfriedhof mit einer Info-Tafel gedacht wird. Die Entfernung des Deserteur-Denkmals auf dem Tramplatz schmerze: „Damit verlor Hannover nicht nur sein Deserteursdenkmal im öffentlichenRaum, zudem wurde ein Signal gesandt, das explizit die Auseinandersetzung mit Gewissen, Menschenwürde und Toleranz auf den historisierenden Aspekt des Bedauerns und der Trauer begrenzt und damit die inhaltliche Auseinandersetzung mit militärischer Gehorsamslogik ausschließt.“

Seinem Appell, den Ort des Erinnerns auf dem Fössefeldfriedhof mit „flankierenden Maßnahmen“ der Auseinandersetzung mit diesem Kapitel deutscher NS-Geschichte, wollen wir als Netzwerk nun nachkommen. Innerhalb des Netzwerks bereitet eine aus mehreren Initiativen gebildete Arbeitsgruppe, darunter Ralf Buchterkirchen (DfG-VK), der Volksbund, das Antikriegshaus Sievershausen, das Freizeitheim Linden und andere, die Präsentation der Ausstellung „Was damals Recht war …‘ –Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht“der Stiftung Denkmal Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas für das Frühjahr 2021 vor. In Workshops, mit digitalen Präsentationen, mit der Vorstellung des Handeln von Richtern und Staatsanwälten, die später in Hannover und Region in ihren Ämtern weiterwirkten, mit Ideen für eine bessere Anbindung des Friedhofs an den Stadtteil soll die Beschäftigung mit den „Ungehorsamen Soldaten“ intensiviert werden.

Eine gegenüber seinen früheren Publikationen bedeutende Neuerung bilden Buchterkirchens Handreichungen und Arbeitsmaterialien für Teamer*innen und Lehrkräfte. In diesem Buchabschnittgeht es um die Erläuterung von Begriffen wie Desertion oder „Kriegsverrat“oder die intensive quellenorientierte Beschäftigung mit den Biografien der hingerichteten Soldaten. Arbeitsgruppen werden angehalten und angeleitet, sich um ein würdiges Gedenken Gedanken zu machen.

Insgesamt ist dem Autor mit diesem Werk ein großer Wurf gelungen. Es ist Grundlage und wird Leitfaden für die gegenwärtige und zukünftige Beschäftigung mit den Toten der Wehrmachtsjustiz –und ihren Henkern in Roben –in dieser Stadt sein.

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