Deserteursdenkmal Hannover

Deserteursdenkmal Hannover

Hannover gehörte während des Zweiten Weltkrieges zu den 5 bedeutendsten Rüstungsstandorten. Auch militärisch spielte die Stadt als Heimat zahlreicher Einheiten und Kommandostrukturen eine wesentliche Rolle.[1] Auf dem Schiessplatz in Vahrenwald (dem heutigem Gelände der Feldjägerschule der Bundeswehr) wurden Soldaten wegen Desertion hingerichtet, im Wehrmachtuntersuchungsgefängnis Am Waterlooplatz warteten sie auf ihre Hinrichtung, begraben liegen die meisten auf dem Fössefeldfriedhof in Linden. Für mindestens 46 Soldaten ist dies belegt.[2]

Bis zu Beginn der 90er Jahre war dieses Stück hannoverscher Geschichte kein Thema, welches größere Kreise interessierte. Im Rahmen einer „Initiative für totale Kriegsdienstverweigerung/ Kriegsdienstverweigerung“, welche sich neben praktische KDV-Arbeit auch mit Desertion beschäftigte wurde im Sommer 1990 am Rande eines ASTA-Universitäts-Sommerfestes ein Denkmal für den unbekannten Deserteur erstellt. Unabhängig von politischen Organisationen, doch unterstützt von Friedensgruppen, dem ASTA und später den Grünen fertigten die Künstler um Arne Witt ein Denkmal. Es zeigt, auf dem Boden abgelegt, einen Stahlhelm und Militärstiefel. Stiefelabdrücke führen zu dieser Stelle hin und Fußspuren – barfuß – von ihr weg. Der Weg der Desertion – die Entscheidung, dem Militär zu entsagen – sollte so plastisch aufgezeigt werden.

Ziel war es, eine Debatte um die individuelle Verweigerung des Kriegsdienstes anzuregen.

Das Deserteursdenkmal wurde am 3. September 1990 am Kröpcke enthüllt und dann von dort zum Trammplatz gegenüber dem Rathaus gebracht. Die Aktion erfolgte im Rahmen eines Infostandes der Grünen Alternativen Bürgerliste (GABL) zum Antikriegstag 1990, die in diesem Rahmen für den totalen Kriegsdienstverweigerer Arne Witt die Patenschaft übernahm und so ihre Unterstützung aussprach. Offiziell sollte es dort als Geschenk an die Stadt Hannover übergeben werden. Die SPD-geführte Stadtverwaltung zeigte jedoch kein Interesse und schickte keinen Vertreter.

Anfang Oktober des gleichen Jahres forderte die Grüne Alternative Bürgerliste im Kulturausschuss des Rates der Stadt Hannover, dass die Stadt eine Gedenktafel für Deserteure installieren und dafür Vorschläge hannoverscher Künstler einholen solle. Sie forderten weiterhin, dass bis dahin das niedergelegte Denkmal auf dem Trammplatz verbleiben müsse. Dies lehnte der Kulturausschuss mit 1:9 Stimmen am 5.12.1990 ab. Das Denkmal blieb jedoch trotzdem am Rande des Platzes liegen. Eineinhalb Jahre später, am 20. März 1992, kam erneut Bewegung in die Debatte. Der Kulturausschuss beschloss mit knapper Mehrheit – diesmal auf Antrag der SPD –, dass das Denkmal am nördlichen Rand des Trammplatzes anerkannt würde und bleiben könne, bis in würdiger Form an einem angemessenen Platz ein ‚Denkmal für den unbekannten Deserteur‘ offiziell eingeweiht wird. Damit hatte das Denkmal erstmalig Bestandsschutz. In den folgenden Jahren war das Denkmal, das kaum sichtbar am Rande des Trammplatzes, nicht selten für Bauarbeiten und Feste kurzerhand verschoben wird, wiederholt Streitpunkt. Der Bezirksbeirat Mitte forderte die Stadt auf, dem Denkmal einen würdigen Platz zu geben, und konnte sogar Spender dafür vorweisen. Das Kulturdezernat wies dies mit dem Hinweis auf ungeklärte Besitzverhältnisse zurück. Dem entgegen stand die schriftlich erklärte Zustimmung der Ersteller des Denkmals zu einer Schenkung. Am 30.3.1995 nahm die Stadt die Schenkung durch einen Beschluss des Stadtrates mit der Mehrheit von SPD und Grünen an. Im Rahmen der Schenkung verpflichtete sich die Stadt, dem Gedenkstein auf dem Trammplatz einen festen Platz zu geben und das Denkmal entsprechend zu befestigen.

Erstmalig selber aktiv wurde die Stadt, als es im Mai 2000 durch Unbekannte beschädigt wurde.

Inzwischen ist das Denkmal mehr und mehr dem Verfall preisgegeben. Die verwendeten Materialien waren nicht für eine lange Haltbarkeit ausgelegt. Von städtischer Seite gab es in den Jahren auch wenig Interesse daran, dieses Thema weiterzuentwickeln und zu neuen Ansätzen zu diskutieren. Viel lieber schwieg man diesen Teil der eigenen Geschichte schamvoll tot und baute lieber auf Patenschaften mit der 1. Panzerdivision, der zentralen Eingreiftruppe der Bundeswehr für weltweite Militäreinsätze.

Es ist abzusehen, dass dieses Denkmal aufgrund sukzessiver Verwitterung in naher Zukunft nicht mehr als solches zu erkennen sein wird. Im Herbst 2010 sicherte die Stadt Hannover es notdürftig auf einem Sockel – und folgte damit einer bereits 1999 erhoben Forderung. Am inzwischen jämmerlichen Zustand des Denkmals änderte das nichts. In einer im April 2008 veröffentlichten Studie bescheinigte die von der Stadt Hannover eingesetzte ‚Kommission für Kunst im öffentlichen Raum der Landeshauptstadt Hannover‘ dem Denkmal mangelnden künstlerischen Charakter und einen schlechten Zustand. Der Bericht empfiehlt die Entfernung und Ersetzung des Denkmals durch „eine professionelle künstlerische Arbeit“, hervorgehend aus einem offenen Wettbewerb, wobei auch der Standort neu diskutiert werden solle.[3]

Auch an anderer Stelle wurde und wird versucht, sich dem Thema zu nähern. Auf dem Fössefeldfriedhof wird seit vielen Jahren, der dort liegenden Gehorsamsverweigerer gedacht. Die Aufstellung einer entsprechenden Hinweistafel wird seit langem – bisher ergebnislos – diskutiert.

Auf dem Gelände der Emmich-Cambrai-Kaserne, dem Ort an dem die Verurteilten ermordet wurden, erinnert nichts an dieses Geschehen. Es bedurfte erst öffentlicher Aufmerksamkeit, bis der Kasernenkommandant eingestand, dass es dort überhaupt Erschießungen gegeben habe. Versuche öffentlichen Erinnerns, wie zum Internationalen Tag des Kriegsdienstverweigerers 2012 wurden bisher blockiert. Im Rahmen umfangreicher Baumaßnahmen (denen endlich auch übergroße Findlinge im Eingangsbereich der Kaserne zum Opfer fielen, die an die Gefallen deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges erinnerten) wurden die bis in die 60er Jahre genutzten Schießplätze entfernt. Dies wiederum nimmt die Bundeswehr zum Anlass, jede Form des Gedenkens auf dem Kasernengelände zu blockieren.

Im Frühjahr 2012 kommt wieder Bewegung in die Debatte um ein Deserteursdenkmal. Angefacht durch die Initiative für ein Deserteursdenkmal beschloss der Kulturausschuss die Initiative für ein neues Deserteursdenkmal aufzugreifen. Ein Beitrag zu der daraus entstehenden Debatte folgt hier.


[1] Siehe dazu ausführlich in: Buchterkirchen, Ralf „…und wenn sie mich an die Wand stellen“, Neustadt 2011, S.61ff.

[2] Ebd. S. 71ff.

[3] Kommission für Kunst im öffentlichen Raum der Landeshauptstadt Hannover: Stand der Kunst im öffentlichen Raum im Innenstadtbereich Hannover –Perspektiven für deren Pflege und Entwicklung, Hannover 2008, S. 113.

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